Die Operation

Nach über 400 Tagen war es also soweit. Mein KFO sagte mir urplötzlich, dass man seinetwegen nun operieren könne. Ich solle dies bei meinem Chirurg abklären und dort alles weitere in die Wege leiten lassen. Da ich schon ein Jahr zuvor bei diesem war bekam er aktuelle Abdrücke zugeschickt und hatte so alle nötigen Infos neben mir, dem realen Ansichtsexemplar. Ich machte mich also zu ihm auf und er startete gleich mit einer für mich schlechten Nachricht: Zur Vorbereitung auf die OP würde er spezielle 3D-Röntgenbilder anfertigen müssen, auf denen er die Nervenverläufe sehen und zudem die OP "üben" konnte. Der große Nachteil hinter dieser sinnvollen Methode war allerdings der Preis (fast 1000€). Doch auch diese Summe brachte ich irgendwie auf. Beim nächsten Termin wurden dann nach der Aufklärung Fotos von mir (von vorne, schräg und im Profil), sowie meinen Zähnen gemacht und auch das teure Röntgenbild wurde nicht vergessen.

 

Schon vier Wochen später sollte operiert werden. Genug Zeit also bei meinem KFO die letzten Vorbereitungen treffen zu lassen. Nach der OP musste das Ober- und Unterkiefer mit einem Draht fixiert werden. Da ich aber meine Zahnspange innen trug, bestand außen keinerlei Möglichkeit den Draht zu befestigen. Also klebte mir mein KFO extra Brackets auf die Zähne (s. Abb.: 1). Danach zitterte ich ein letztes Mal, da ich mir wieder selbst die Daumen drücken musste (wie schon bei der angedrohten Gaumennahterweiterung). Mein Chirurg überprüfte anhand der Röntgenbilder, ob das Ober- und Unterkiefer oder lediglich das Unterkiefer operiert werden musste, um eine gute Bissstellung erreichen zu können. Ich war natürlich für zweiteres. Mein Wunsch wurde erfüllt, woraufhin sogar mein KFO große Erleichterung äußerte.

Abb. 1: "offener Biss" vor der OP
Abb. 1: "offener Biss" vor der OP

Am Abend vor der OP sah ich mir ein letztes Mal den Biss an, mit dem ich seit Jahren herumgelaufen war und der mir schlussendlich enorme Probleme bereitet hatte. Alle Recherchen über die OP hatten mir kaum etwas gebracht, da ich wusste, dass es bei jedem anders lief und ich daher einfach abwarten musste.
Ich wurde mittags operiert und musste auch erst zwei Stunden vorher in der Klinik auftauchen. Ich war zwar nicht sonderlich nervös, wollte aber weder lesen noch mich mit dem Handy beschäftigen. Also lag ich in OP-Klamotten auf dem Bett und starrte aus dem Fenster. Zum versprochenen Zeitpunkt wurde ich dann abgeholt und für die OP vorbereitet.

An diesem Tag wurde bei mir eine Unterkieferosteotomie durchgeführt. Folgende Diagnosen wurden mit den entsprechenden Prozeduren behandelt:

  • Diagnosen
  • mandibuläre Latero-/Retrognathie beidseits (Seit- und Rückverlagerung des Unterkiefers)
  • frontal offener Biss

 

  • Prozeduren
  • Neurolyse und Dekompression der extrakraniellen Hirnnerven beidseits
  • Okklusionssicherung an Maxilla und Mandibula
  • Osteotomie zur Verlagerung des Untergesichtes mit Kontinuitätsdurchtrennung am aufsteigenden Mandibulaast

Das hört sich vielleicht etwas kompliziert an, aber im Grunde wurde mein Unterkiefer lediglich in drei Teile gesägt, in die richtige Position verschoben und dann mit Platten und Schrauben fixiert. Damit die neue Position blieb wurde mein Kiefer zudem an den Brackets mit Drähten zusammengehalten (s. Abb. 2).

 

Von der OP bekam ich selbstverständlich nichts mit und kam daher nachmittags im Aufwachraum wieder zu mir. Es ist schon ein seltsames Gefühl, wenn man seinen Mund nicht mehr willentlich öffnen kann. Mir ging es aber relativ gut und ich konnte daher rasch auf die Normalstation verlegt werden, wo ich erstmal einen Blick in den Spiegel riskierte. Da meine rechte Seite immer schon die Problemseite war, war diese auch dementsprechend dicker angeschwollen als die linke. Aus den Mundwinkeln hingen Schläuche, die die Flüssigkeit aus der Wunde transportierten und in Behälter sammelten, die mir am Kinn herunter hingen. Es was zwar nötig, aber unglaublich lästig. Nach ein paar Tagen wurden sie aber entfernt und ich konnte nach Hause gehen. Und natürlich wurde ich auch während des Klinikaufenthaltes nicht von einer Schrecksekunde verschont:
Irgendwann bemerkte ich etwas hartes auf meiner Zunge. Nach kurzem Befühlen des Fremdkörpers musste ich feststellen, dass sich ein Bracket gelöst hatte. Ich nahm sofort an, dass es eines der inneren Zahnspange war und rief leicht panisch die Schwester, da ich nicht wusste was ich tun sollte. Ich wollte das Ding nicht herunterschlucken, denn ich hatte viel dafür bezahlt. Sie bemerkte gleichgültig, dass ich versuchen müsse das Bracket nach vorne zu balancieren. Doch die einzige mögliche Lücke befand sich hinten, wo sich meine Weisheitszähne befunden hatten. Und so balancierte ich langsam und vorsichtig das Bracket mit meinem Kopf möglichen Verdrehungen durch die kleine Lücke bis nach vorne. Nach einer halben Stunde hielt ich stolz und erleichtert den Übeltäter in meinen Händen. Es hatte sich ein Bracket von den äußeren Zahnreihen gelöst, das für die Verdrahtung nicht gebraucht worden war. Ich behielt das Stück aber trotzdem - als Erinnerung.

 

Erst einen Tag nach meiner Entlassung fing ich an durch die Zähne zu sprechen. Ich hätte es sicher früher können, aber ich hatte in der Klinik keine Lust es zu probieren, da ich durchgehend DVDs auf meinem Laptop ansah und nebenher meine Backen kühlte. Zudem war ich ordentlich gereizt, da ich Hunger hatte und das Zeug, das mir geboten wurde nicht essen konnte. Ich wurde theoretisch gut versorgt, aber die Suppen wie auch die hochkalorischen Drinks stanken nicht nur widerlich, sie schmeckten auch nicht besonders. Wenn man ein paar Tage nicht wirklich gegessen hat sinkt die Laune ins Unermessliche. Doch Zuhause belohnte ich mich mit einem Pudding und war zufrieden.


Wegen meiner speziellen Gegebenheiten (kleines Kiefergelenk, innere Zahnspange und Fehlbiss) musste ich die Drähte nicht nur eine, sondern zwei Wochen tragen. Doch ich hatte mich an diese neue Situation gewöhnt und war sowieso mit den Schmerzen und den Schwellungen beschäftigt. Doch die Schmerzmittel halfen ganz gut und mit fleißiger Kühlung bekam ich auch langsam die dicken Backen in den Griff. Nach einer Woche wurden die Fäden gezogen und die Heilung konnte komplikationslos fortschreiten.

Endlich waren dann die zwei Wochen vorbei und mir wurden die Drähte entfernt (s. Abb. 3). Lediglich der Splint, der meine Zähne in der richtigen Position hielt musste noch bleiben. Dieser war mit extra Draht an den Zähnen befestigt und konnte- entgegen meiner Annahme- nicht rausfallen. Doch auch diesen Zustand musste ich nicht lange ertragen, da schon nach einer Woche auch der Splint rauskam und ich so zum ersten Mal das annähernd fertige Werk betrachten konnte (s. Abb. 4).

Man muss kein Kieferchirurg/-orthopäde sein um zu sehen, dass der Biss noch nicht wirklich perfekt ist. Das sahen natürlich auch die wahren Profis. Mein KFO und Chirurg hielten daher noch einmal Rücksprache miteinander und so wurde mir spontan und per Telefon folgendes mitgeteilt: Die Platten, die eigentlich erst in einem halben Jahr entfernt werden sollten, würden sofort entfernt werden (also vier Wochen nach der OP). Der Knochen müsste mit der Heilung soweit sein und daher sollte ich den nächstmöglichen Termin für die OP nehmen. Mein KFO musste mir dafür lediglich eine andere Konstruktion in den Mund montieren, damit die Kiefer besser in ihrem neuen Biss gehalten werden könnten. Denn durch die frühzeitige Entfernung der Platten konnte man so das Unterkiefer etwas nach oben ziehen und so den Biss komplett schließen. Also entfernte mir mein KFO ein paar Tage später die alten Brackets und ersetzte sie durch eine eigens konstruierte Schiene mit Haken, was von weitem wie eine Spange aussah. Wieder ein paar Tage später lag ich dann unterm Messer und ließ mir ambulant die Platten entfernen und eine gefühlte Tonne Gummis im Mund plazieren (s. Abb. 5).

Wie man deutlich erkennen kann hat sich in den wenigen Tagen nach der OP ordentlich etwas getan. Die Mittellinie war nun perfekt und die kleine Lücke, die vor der Plattenentfernung noch deutlich zu sehen war wurde immer kleiner (s. Abb. 6-7). Auch der Biss stimmte nun mit den Vorstellungen der beiden Ärzte überein. Sie waren zufrieden, also war ich das auch. Zwar musste ich ein paar Wochen mit dem Gummi-Geflecht auskommen, doch ich hatte mich schnell an dieses gewöhnt und nahm sie schlussendlich überhaupt nicht mehr war. Erst wenn mein Gegenüber erschrack oder dessen Blick darauf fiel dachte auch ich wieder daran.