Die Zahnspange

Dass meine Zähne nicht immer perfekt standen war offensichtlich. Doch den Leuten gefiel mein Lächeln und meine Zähne waren gesund. Daher kam es für mich aus rein ästhetischen Gründen nie in Frage eine Zahnspange in Erwägung zu ziehen (s. Abb. 1).

Nötig war die Spange und damit verbundene OP aus anderen Gründen. Schon als Teenager hatte ich Probleme mit meinem rechten Kiefergelenk. Es knackte ziemlich oft, was mir seltsam vorkam. Zudem hatte ich auch hin und wieder Schmerzen. Also suchte ich mehrere Zahnärzte und Kieferorthopäden auf und sammelte so verschiedene Meinungen. Die einen rieten mir desinteressiert meinen Mund einfach nicht so weit zu öffnen und damit das Knacken nicht mehr zu provizieren. Anderen sahen eine Spange zwar als nötig an, doch ohne Operation würde alles nach ein paar Jahren wieder in seinen ursprünglichen Zustand zurückkehren. Mein Kiefer wäre sozusagen ein Buch mit sieben Siegeln.

 

Die Jahre vergingen und nach meiner Volljährigkeit versuchte ich es bei meinem neuen Zahnarzt erneut und erzählte ihn von meinen Problemen, die inzwischen schlimmer geworden waren. Wir versuchten es mit einer Schiene, doch er sagte mir klar, dass ich um eine Spange nicht herum kommen würde. Zudem müsste man an das Kiefer selbst heran. Also vereinbarte ich einen Termin bei dem besten Kieferorthopäden in meinem neuen Wohnort. Nach nur einem Blick bestätigte er die Aussage meines Zahnarztes und beschrieb mir das nötige Vorgehen: Erst die Spange, dann die OP und nach der Feinregulierung wäre mein Kiefer bzw. die Zähne in einer korrekten Position. Was man von außen nämlich nicht sofort sah war mein verschobenes Unterkiefer. Dieses war nicht nur nach hinten, sondern auch nach rechts verschoben (s. Abb. 2). Im Laufe der Behandlung wurde zudem festgestellt, dass mein rechtes Kiefergelenk zu klein war. Mit dieser Fehlbildung und einem viszeralen Schluckmuster (beim Schlucken wandert die Zunge zwischen die Zahnreihen und bleibt nicht im Mundraum), war die Ursache meiner Fehlstellung wahrscheinlich geklärt. Dazu kam noch, dass lediglich zwei Zähne bei geschlossenem Mund Kontakt zueinander hatten, weshalb sich die ganze Kraft des Kiefers auf diese jeweiligen Backenzähne verlagerte. Dies führte mit all den anderen Problemen zu Schmerzen der Kau- und Nackenmuskulatur, Spannungskopfschmerzen und schließlich Gesichtsschmerzen, aufgrund der gereizten Nerven. Ich hatte zwar regelmäßig Physiotherapie, doch trotzdem konnte ich irgenwann nicht mehr kauen, weil die Schmerzen einfach zu stark wurden (dieses Stadium trat glücklicherweise erst ein halbes Jahr vor der OP ein).

Abb. 3: innen liegende IncognitoTM
Abb. 3: innen liegende IncognitoTM

Da ich sowieso schon sehr jung für mein Alter aussehe entschied ich mich für eine IncognitoTM (s. Abb.: 3). Diese Zahnspange liegt innen und ist daher logischerweise von außen nicht sichtbar. Ich wollte bei der Arbeit doch noch etwas ernst genommen werden, auch wenn das bedeutete, dass ich die Spange selbst zahlen musste. Alles andere wurde trotz meiner Volljährigkeit von der Kasse übernommen (da ein chirurgischer Eingriff nötig war). Lediglich die 20%, die man nach erfolgreichem Abschluss der Behandlung wiederbekam, musste ich leisten.
Ich bekam also eine Kostenaufstellung, die mich erstmal schlucken ließ: Für die IncognitoTM musste jedes einzelne Bracket individuell angefertigt werden. Das Gold dafür streckte die Firma vor, weshalb sie das Geld sofort haben wollten. Und so wurde ich auf einen Schlag 2000€ los. Die kieferothopädische Behandlung (noch einmal über 2000€) konnte ich aber auf Raten abzahlen. Bei den restlichen erforderlichen Maßnahmen musste ich ebenfalls die 20% zahlen, doch die Summen waren überschaubar.
Zuvor suchte ich noch meinen zukünftigen Kieferchirurg auf, der mir von meinem KFO empfohlen wurde und bisher hervorragende Arbeit geleistet hatte. Er stimmte in jeder Hinsicht mit der Meinung meines KFO ein und trug mir auf mir noch die Weisheitszähne ziehen zu lassen, da er für die OP den Platz benötigen und die Zähne dort nur stören würden.

Zuletzt jagte mir mein Kieferorthopäde noch einen riesen Schreck ein: Da mein Oberkiefer relativ schmal ist wäre evtl. eine Gaumennahterweiterung nötig. Bei dieser würde mit einer unheimlichen Apparatur das Oberkiefer langsam gedehnt (sichtbar an dem größer werdenden Abstand zwischen den beiden größen beiden Schneidezähnen. Doch genau das wollte ich auf keinen Fall und beschloss daher alles abzubrechen, sollte ich das tatsächlich machen müssen. Zu meiner großen Erleichterung sah mein Chirurg dies als unnötig an. Seiner Meinung nach würde mein KFO den Platz mit der Spange schaffen, was sich dann auch als wahr herausstellte. Jeder, der schon einmal eine Spange getragen hat weiß, dass es eine Weile braucht, bis man sich daran gewöhnt hat. Das ist bei einer innen liegenden Spange nicht anders. Die Zunge kämpft anfangs gegen die Fremdkörper, was zu offenen Stellen führen kann. Ich habe ca. zwei Wochen lang mein Umfeld mit einem starken Lispeln amüsiert, wobei ich dieses mit viel Übung rasch wegtrainieren konnte. Zur gleichen Zeit hatte ich mich dann auch an die neue Situation gewöhnt. Das Ober- und Unterkiefer wurde im Abstand von zwei Wochen bestückt, da so eine Spange natürlich ordentlich reizen kann. Nicht zu vergessen die Drähte, die alle vier Wochen ausgetauscht wurden und an Festigkeit zunahmen. Jedes Mal konnte ich danach ein paar Tage lang nicht richtig essen und musste auch bei der Reinigung etwas vorsichtiger sein, da die Zähne anfangs unglaublich empfindlich auf den neuen Draht reagieren.

Doch das waren lediglich nötige Unanehmlichkeiten, die nicht lange andauerten. Mein Kiefer mochte die Spange überhaupt nicht, doch auch hier half die Physiotherapie. Am meisten Spaß machte mir aber das Beobachten der "Wanderung der Zähne". Ich hatte von Anfang an in unregelmäßigen Abständen Fotos gemacht und war fasziniert von den Vorgängen.

Je mehr sich meine Zähne in ihre richtige Position verschoben, desto offensichtlicher wurde meine Kieferfehlstellung. Auf den Abbildungen 4-5 habe ich meine Zähne immer zusammen gebissen. Und genau das zeigt meinen damaligen "offenen Biss" sehr deutlich. Doch schon nach knapp über einem Jahr sollte es soweit sein: Die große OP stand kurz bevor...